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Akupunktur bei Schlaganfall: Akutbehandlung und Rehabilitation

von Rainer Lüdtke, Quelle: www.carstens-stiftung.de

Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Mittlerweile gibt es eine erkleckliche Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen zu der Frage, ob die Akupunktur auch bei der Behandlung des Schlaganfalls sinnvoll ist.

Unter einem Schlaganfall versteht man eine schlagartig einsetzende schwere Funktionsstörung des Gehirns, weil die Blutversorgung bestimmter Gehirnbezirke deutlich vermindert oder vollständig unterbrochen wird, entweder durch Blutungen oder durch Gefäßverschlüsse.

Der Schlaganfall ist nach den koronaren Herzkrankheiten und bösartigen Tumorerkrankungen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Man schätzt, dass jedes Jahr fast eine Millionen Bundesbürger einen Schlaganfall erleiden. Mehr als zwei Drittel davon sterben (meist sehr früh) an den Folgen oder behalten bleibende Schäden.

Auch wenn sich die Therapie des akuten Schlaganfalls in Deutschland nach der Einführung der so genannten Stroke units [a] deutlich verbessert hat, so gibt es bisher keine Einzelmaßnahme zur Behandlung der Langzeitfolgen, die sich als unbestritten wirksam erwiesen hat. In der Regel wird in den Rehakliniken ein ganzer Kanon verschiedenster Maßnahmen eingesetzt, um Folgen wie Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen oder Gedächtnisausfälle zu kurieren. Alternative Behandlungsmöglichkeiten wie die Akupunktur, die möglicherweise direkt an den Krankheitsursachen angreifen, könnten die Patientenversorgung einen entscheidenden Schritt voran bringen.

Mittlerweile gibt es eine erkleckliche Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen zu der Frage, ob die Akupunktur auch bei der Behandlung des Schlaganfalls sinnvoll ist. Die erste Übersichtsarbeit zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1996 [1]. In dieser Arbeit wird von insgesamt acht Studien berichtet, die positive Effekte der Akupunktur aufzeigen. Besonders hervorgehoben wird eine taiwanesische Studie [2], der es zu zeigen gelang, dass eine Akupunkturbehandlung bei einem akuten Schlaganfall (innerhalb von 36 Stunden nach dem Ereignis) nach drei Monaten die bleibenden Schäden signifikant [c] verringert.

Wesentlich mehr Studien zum Thema hat J. Tang aus Hong Kong gefunden und bewertet. Vor allem im chinesischen Sprachraum scheint es eine Vielzahl randomisierter Therapiestudien [d] zu geben, die der westlichen Wissenschaft völlig unbekannt sind. Frau Tang identifizierte insgesamt 49 Studien, von denen 46 die Akupunktur gegenüber einer Kontrollbehandlung leicht oder deutlich im Vorteil sahen. Allerdings zeigte sich auch, dass die Studien umso weniger deutliche Ergebnisse brachten je größer die Zahl der behandelten Patienten war. Frau Tang zog daraus den Schluss, dass die Daten einen viel zu positiven Gesamteindruck vermitteln, und die Akupunktur möglicherweise gar nicht besser ist als eine Kontrollbehandlung [e].

Zwei Jahre nach Tang hat sich J. Park noch einmal des Themas angenommen [3]. Er bewertete insgesamt neun randomisierte Studien, die jeweils eine zusätzliche Akupunktur mit einer ausschließlichen Routinebehandlung verglichen. Sechs dieser Studien zeigten eine signifikante Überlegenheit der Akupunktur an. Die größte und aus wissenschaftlicher Sicht beste Studie allerdings konnte eine solche Überlegenheit nicht belegen [4]. Die Akupunkturgruppe schnitt in keinem Parameter deutlich besser ab als die eine unbehandelte Gruppe (die „nur“ die übliche Standardbehandlung bekam) oder die Gruppe, bei der nur eine oberflächliche Akupunktur verwendet wurde, ohne dass die Nadeln tief eingestochen wurden: Weder neurologische Fähigkeiten wie Deutlichkeit der Aussprache oder sensorische Defizite noch die Einschränkungen des täglichen Lebens konnten im Vergleich zu den anderen Gruppen relevant gebessert werden. Auch die aus wissenschaftlicher Sicht zweitbeste Studie zum Thema konnte keine Überlegenheit der Akupunktur gegenüber einer Scheinakupunktur nachweisen [5]. J. Park betont aber, dass das in diesem Fall an der recht geringen Zahl an Patienten gelegen haben kann, da tendenziell eine leichte Überlegenheit der Akupunktur zu erkennen war, vor allem bei der Verringerung von Wasseransammlungen (Ödemen) im Gehirn.

Park kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass „es keine überzeugende Evidenz gibt, die die Wirksamkeit der Akupunktur bei Schlaganfallbehandlungen belegt“. Dieses steht im Gegensatz zur Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO, die den Schlaganfall als einen der Bereiche führt, für den „die Akupunktur sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen hat“ [6].

Auffällig ist, dass die meisten Akupunkturstudien erst relativ spät mit der Behandlung beginnen, d.h. mehr als eine Woche nach dem Schlaganfall. Lediglich die Studie von Duan [7] begann direkt nach dem Ereignis mit der Behandlung, die bereits oben erwähnte Studie von Naeser [5] dagegen erst nach zwei Monaten während der Rehabilitation.

In nahezu allen Studien wird auf unerwünschte Nebenwirkungen der Akupunktur nicht eingegangen. Vor dem Hintergrund einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die gleichzeitig mit verschiedenen Medikamenten und Therapieverfahren behandelt wird, ist es allerdings auch schwer zu beurteilen, ob bestimmte Ereignisse auf die Akupunktur zurückzuführen sind.

[a] Stroke ist die englische Bezeichnung für Schlaganfall. Stroke units sind spezialisierte Kliniken an ausgewählten Krankenhäusern, in denen die Patienten nach klar definierten Kriterien behandelt werden. [b] Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) beruht neben der Akupunktur auch auf einer spezielle Pflanzen­heilkunde, auf Entspannungs- und Konzentrationstechniken (Qigong) und besonderen Formen der Massage. [c] Signifikant ist ein statistischer Fachbegriff, der andeutet, dass es unwahrscheinlich ist, dass die beiden verglichenen Therapien (in diesem Fall die üblichen Rehamaßnahmen bzw. eine Zusatzakupunktur) gleich wirksam sind. [d] Eine Studie nennt man randomisiert, wenn die Patientinnen nach dem Zufallsprinzip der Akupunkturbehandlung oder einer Kontrollbehandlung (z.B. einer Nadelung an Nicht-Akupunkturpunkten)zugeteilt werden. [e] Der wissenschaftliche Fachbegriff hierfür ist publication bias. Er besagt, dass überwiegend positive Studien veröffentlicht werden, während die Ergebnisse negativer Studien zurückgehalten werden, insbesondere wenn die Zahl der behandelten Patienten gering ist.

Einschätzung:
Das Phänomen des „Publication Bias“ scheint bei der Akupunkturbehandlung des Schlaganfalls besonders ausgeprägt.
Ein Großteil der veröffentlichten Studien weist erhebliche wissenschaftliche Schwächen auf, die die Aussagekraft der meisten Studien stark einschränken.
Die Datenlage zur Akupunkturbehandlung des Schlaganfalls ist aus diesen beiden Gründen bei weitem nicht so gut wie es der reine Zahlenvergleich von positiven und negativen Ergebnissen vermuten lässt. Diesem Fehler ist auch die WHO aufgesessen.
Derzeit gibt es keine fundierte Erkenntnis, dass Akupunktur in der rehabilitativen Behandlung des Schlaganfalls sinnvoll ist. Es muss offen bleiben, ob eine möglichst direkt nach dem Schlaganfall einsetzende Akupunkturbehandlung erfolgreich ist, hierzu gibt es zu wenige Studien.
Die Frage nach Nebenwirkungen der Akupunktur spielt bei der Schlaganfallbehandlung sicherlich eine untergeordnete Rolle. Sie ist weitgehend ungeklärt.

Quelle: www.carstens-stiftung.de

Hopwood V. Acupuncture in stroke recovery: a literature review. Complement Ther Med 1996; 4:258-263.

Hu HH, Chung C, Liu TJ, Chen RC, Chen Ch et al. A randomised, controlled trial on the treatment for acute partial ischaeme stroke with acupuncture. Neroepidem 1993; 12:106-113. Abstract

Park J, Hopwood V White A, Ernst E. Effectiveness of acupuncture for stroke: A systematic review. J Neurol 2001; 248:558-563. Abstract